Kapitel 2: Beobachtungen

Kapitel 2: Beobachtungen

Mit seinen Samtpfoten huschte das Tier beinahe lautlos über den feuchten Waldboden, bedeckt von einem scheinbar endlosen Strom aus braunem und gelbem Herbstlaub. Hin und wieder segelten vereinzelte Blätter lautlos hinunter und vielen sanft zu Boden. Die Baumkronen wiegten sich durch den Sturm im Wind und warfen ihr Blätterdach gnadenlos ab. Somit wurde die Umgebung, zusammen mit dem Niederschlag in ein einheitliches Rauschen gehüllt, welches die vielen anderen natürlichen Geräusche des Waldes mit ihren Bewohnern übertönte. Es roch nach feuchter Walderde und Pilzen. Äußerst bedachtsam, ja beinahe schon zögerlich, schnüffelte der muskulöse Wolf im Unterholz, um eine Fährte wieder aufzunehmen, welche seine Nase kurz zuvor fast verloren hatte. Seine Hatz dauerte schon eine Weile und für das Tier war es unsagbar anstrengend, die Verfolgung weiter aufzunehmen. Er folgte der Aufgabe welche seine Besitzerin ihm zugetragen hatte. Was war elementar Wichtig, dass er die Spur des Menschen nicht verlor, welchen er gerade jagte. Der Wolf hob seine linke Vorderpfote an, als er in der Bewegung stoppte und mit seiner empfindlichen Nase unter dem Laub etwas wahrgenommen hatte. Sein Geruchsorgan nahm die unzähligen Aromen der Umgebung auf, welche sie unaufhörlich freigab und filterte die gesuchte Spur, aus Millionen von Düften heraus. Er war schwach, aber stach dennoch deutlich von allen anderen stark heraus.

Instinktiv Spitzte das Tier die Ohren, schnüffelte noch einmal an den kleinen Blutfleck unterhalb eines Laubblattes und hob dann den Kopf. Er hatte die richtige Spur wieder aufgenommen. Der Blutfleck war nicht wirklich groß. Vielleicht einen Daumennagel dick. Wenn überhaupt und dennoch konnte der Wolf ihn problemlos finden. Er senkte erneut den Kopf und schnüffelte abermals daran. Mit der Nase voran ging er ein paar Schritte weiter und fand den nächsten Bluttropfen. Schnell erkannte das Tier, wohin die Blutsspur führte. Sie verlief parallel zur Waldstraße entlang. Diese Information reichte völlig aus. Instinktiv schritt das athletische Tier voran und folgte der Spur aus Menschenblut.

Der Niederschlag nahm unweigerlich zu, da der Sturm jetzt genau über ihm tobte. Trotz des noch teilweise recht dichten Blätterdachs, war sein Fell beinahe vollständig durchnässt. Die Fellhaare an der Schnauze war annähernd noch schwarz und wirkte durch den Schneeregen noch dunkler, als sie es ohne hin schon waren. Der Rest war eindeutig heller und in verschiedenen Grautönen gecheckt. Das Geschöpf schlich vorsichtig, aber zielstrebig unter den hohen Laubbäumen entlang, mit der Nase knapp über dem Herbstlaub. Wie die Wildschweine auf der unersättlichen Jagd nach Eicheln und kleinen Krabbeltieren, versuchte der Jäger mit seiner empfindlichen Nase der Spur weiter zu folgen.

An einem umgestürzten Baum, etwa gut sieben Meter lang und mit einem dicken Stamm, kreuzte seinen Weg. Ober war er zu großen Teilen mit Moos bedeckt, was davon zeugte, dass dieser Baum hier schon länger zum Sterben auf dem Boden lag. Der Wolf kletterte mit seinen Vorderpfoten auf den Stamm und blieb in dieser Haltung stehen. Konzentriert lauschte das Tier in die Umgebung und stellte mit seinen guten Ohren fest, dass es hier ein Geräusch gab, welches sich von allen anderen Waldgeräuschen absonderte. Konzentriert blickte das Tier in jene Richtung, aus der das vermeintlich Geräusch zu kommen schien. Der ganze Wald schien durch den Sturm in Bewegung zu sein und genau das machte es ihm so schwer sich auf das zu konzentrieren wo nach er gerade sah. Er hatte die schmale Waldstraße im Blick, die quer durch den dunklen Wald verlief. Noch sah er nichts, aber das Geräusch wurde eindeutig lauter.

Der Wolkenbruch wurde mit dem aufkommenden Wind noch etwas stärker. Zum Teil fielen jetzt daumendicke Schneeflocken leise auf sein graues Fell, nur um sich wenige Augenblicke später, wie von Geisterhand aufzulösen. Der Wolf blieb regungslos stehen und fixierte bewusst einen Punkt im Wald. Seine Ohren nahmen die Geräusche weiter auf und er konzentrierte sich darauf.

Momente verstrichen und das Tier wurde zugleich unruhiger. Er beleckte kurz seine Schnauze und fing dann vor Aufregung an zu hecheln. Dann senkte der Wolf den Kopf, sowie seine Ruthe und nahm die Vorstehhaltung ein. Das Geräusch wurde noch einmal lauter und die Aufregung nahm weiter zu. Er war nicht nur dem gejagte sehr nahe.

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Der Flüchtige wurde schon seit einiger Zeit verfolgt und seine Kräfte ging langsam zu neige. So viel stand fest. Hinter einem dicken Baumstamm lehnend hielt der junge Mann kurz an. Dabei rang heftig nach Luft und versuchte wieder zu Kräften zu kommen. Blut tropfte aus mehreren Wunden auf den Waldboden und hinterließen ungewollt eine verräterische Spur. Er konnte gar nicht genau lokalisieren, von wo es überall hinunter tropfte. Immer wieder atmete er durch den Mund ein und durch die Nase wieder aus. Zum einen um sich zu beruhigen und zum anderen um die verdammten Seitenstiche wegzubekommen. Für einen kurzen Moment schloss der junge Mann seine Augen, legte den Kopf in den Nacken und atmete weiter schwer durch Mund und Nase. Er musste weiterlaufen. Musste fliehen von dem was ihn verfolgte. Wobei er sich nicht mal sicher war, welches Tier da gerade Jagd auf ihn machte. Von jetzt auf gleich wurde er angegriffen. Von etwas was er nicht beschreiben konnte. Es war so furchtbar, dass er es schnell aus seinen Gedanken verbannen wollte. Aber wie machte man das? Für den Moment konnte er sich befreien und lief vor dem Unsagbaren davon. Wie aus dem Nichts wurde seine Gruppe aus der Dunkelheit angegriffen. Schnell und lautlos, ohne die geringste Chance sich zu währen. Für ihn war es ein Glück das er in der Dunkelheit die Böschung hinuntergestürzt war und somit entkommen konnte, nach dem dieser Schatten ihn gepackt und verletzt hatte. Ja er war verletzt, aber noch lebte er. Jetzt war er alleine und vermutlich der einzige Überlebende von seiner Gruppe. Ein Geräusch ließ ihn herumwirbeln und aufgeregt blickte er hinter dem Baumstamm hervor. Da war noch was anderes hinter ihm her. So schien es jedenfalls. Es war ein Alptraum, der irgendwie nicht enden wollte.